22.04.23 Colwyn Bay
Zwei Reaktionen ernte ich, wenn ich erzähle, dass mein nächster Urlaub nach Nordwales führt. Zum einen ein „wo ist das“ und zum anderen ein „wie kann man nur, regnet es da nicht dauernd?“.
Bei der Landung in Manchester regnet es schon mal nicht, es kommt sogar ein wenig die Sonne heraus. Das reicht, man ist ja bescheiden.
Von Manchester Flughafen fährt ein kostenloser Shuttle Bus zu den Car Rental Schaltern außerhalb des Flughafengeländes. Dort werden wir sehr freundlich empfangen und bekommen mit dem grasgrünen Mietwagen gleich noch ein Upgrade in Form eines eingebauten Navis.
Vom Flughafen ist es nicht weit zur Autobahn M56 Richtung Chester, die später zur zweispurigen Schnellstraße A55 wird. Alle fahren auf der falschen Straßenseite. Nach 111 Kilometern haben wir unser erstes Ziel Colwyn Bay erreicht, wo wir uns für die nächsten 5 Nächte einquartieren.
Das von außen viktorianisch wirkende Haus liegt direkt gegenüber einer Kirche. Die Zimmer sind wie erwartet plüschig, mit Teppichboden, dicken Brokatvorhängen und Rosendeko. Oder wie man in England sagen würde: Cozy.
Der Charme von Colwyn Bay ist ein wenig in die Jahre gekommen. Für den Nachmittag reichen erst mal ein kleiner Stadtrundgang und ein erster Strandspaziergang nach Rhos-on-Sea.
23.04.2023 Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch
Der Ort mit dem längsten Buchstabensalat-Namen Europas ist nichts anderes als ein origineller Zwischenstopp auf dem Weg zum Plas Newydd Country House and Gardens auf der Anglesy Insel. Das alte Herrenhaus hat einen Logenplatz an der Menai-Strait und einen ausladenden Garten, mit einem alten Baumbestand und kleinen Rhododendren- und Kamelienwäldchen, die jetzt Ende April gerade anfangen zu blühen.
Nicht weit davon entfernt führt ein Stück des Wales Coast Path zu einem Hügelgrab genannt Bryn Celli Ddu. Der Wegweiser an der Straße wurde überfahren und fristet sein Leben seither kläglich im Straßengraben. Später weist ein letztes sporadisches Schild durch ein Gatter auf eine Wiese, die von Rindern in einen Sumpf umgewandelt wurde. Vom Coast Path keine Spur mehr. Wie aus dem Nichts taucht eine Frau auf der Wiese auf und geleitet uns zur Burrial Chamber. Genauso leise wie sie aufgetaucht ist, verschwindet sie auch wieder. Vermutlich war es eine Fee aus dem Hügelgrab. Wem es gelingt, das Hügelgrab zu finden, wird nicht enttäuscht werden.
Das kleine Landanhängsel Llanddwyn bei den bewaldeten Sanddünen von Newborough Forest macht seinem Ruf als romantisches Plätzchen von Nordwales alle Ehre, insbesondere wenn es in ein tief stehendes goldenes Sonnenlicht getaucht wird. Die Wanderung am Strand und bei niedrig stehendem Wasser über die kleine Halbinsel mit seiner fotogenen Ruine, keltischem Kreuz und Leuchttürmen sowie dem Ausblick auf die Berge gegenüber lohnt sich allemal.
24.04.2023 Bodnant Garden
Für Liebhaber englischer Gartenkultur und solche, die es noch werden wollen, ist Bodnant Garden, nur wenige Kilometer südlich von Conwy gelegen, das reinste Paradies. Ganz besonders jetzt um diese Jahreszeit, wenn die Rhododendren und Azaleen ihre Farbenpracht in den Himmel hinaus schreien. Perfekte Sichtachsen, spannende Kombinationen, liebevolle Arrangements, ein stattliches Herrenhaus als zentraler Blickfang und ein beeindruckender Baumbestand. Nichts ist hier dem Zufall überlassen und dennoch wirkt alles sehr natürlich. Im Gesamteindruck ist der Garten ein großartiges Kunstwerk.
Mit seinen mächtigen Mauern und Türmen bewacht das Conwy Castle den River Conwy, der wenig später in die Irische See mündet. Wer den Zugang findet, kann über die alte Hängebrücke laufen, die zwischen einer Autobrücke und einer Eisenbahnbrücke eingepfercht ist. Das Städtchen selbst wird dominiert von der mächtigen Burg und ist für einen kleinen Spaziergang mit Mittagessen gerade recht.
Ganz anders gestaltet sich das Stadtbild von Llandudno am nördlichen Ende von Conwy. Wie eine Perlenkette reihen sich die weißen Fassaden im Viktorianischen Stil entlang der fast 2 km langen Bucht. Den besten Blick über das bekannte Seebad und die dahinter hoch aufragenden Berge hat man von der 400 Meter langen Landbrücke am Ende der Bucht.
25.04.2023 Snowdonia Nationalpark
Es wird Zeit sich den Bergen im Inland zuzuwenden. Die Fahrt durch das Tal des Conwy River zeigt Nordwales von seiner schönsten Seite. Schmale Straßen eingesäumt von mit Efeu überwucherten Mauern, grüne Wiesen mit weißen Tupfen und kleine Dörfer. Dort, wo der schöne Wildbach Afon Llugwy in den River Convy mündet liegt das Dorf Betws-y-coed mit seinen traditionellen Steinhäusern. Es ist das Tor zu den Bergen und Seen des Snowdonia Nationalparks. Die liebliche Landschaft verwandelt sich plötzlich in raues Hochland. Am Llyn Ogwen See bietet sich eine Wanderung um den Llyn Idwal See an. Der Bergsee liegt inmitten baumloser Berge mit Blick auf das nach Norden auslaufende Tal.
Wer glaubt, den restlichen Tag mit den Besuchen des Gwydir Castle bei Llanrwst und des Penrhyn Castles bei Bangor füllen zu wollen, wird feststellen, dass ersteres privat ist und letzteres keine direkte Zufahrt hat, zumindest keine, die man auf Anhieb findet. Sehr sehenswert ist allerdings die steile Steinbrücke bei Llanrwst, über die man übrigens auch in das Dorf Betws-y-coed gelangt.
26.04.2023 Beaumaris Castle und Puffin Island
Es trägt den Spitznamen „das schönste Kastell, das nie zu Ende gebaut wurde“. Beaumaris Castle hat von oben gesehen den symmetrischsten Grundriss aller von Edward I. gebauten Burgen in Nordwales. Obwohl es nie fertig gestellt wurde ist es bis heute ein beeindruckendes Bauwerk. Auf der Außenmauer kann man ein Stück entlang gehen und einen Blick auf das Meer und die dahinter liegenden hoch aufragenden Berge werfen. Die Innenmauer umrahmt einen großzügigen Innenhof. Schmale Gänge führen durch das düstere Innere der Festungsmauern.
Von Llangoed aus führt ein schöner Pfad entlang eines Bächleins bis an den Menai Kanal und von dort weiter auf dem Wales Coastal Path über Penmore Priory – einer alten Klosterkirche – bis zum Landende mit Blick auf Puffin Island. Der Weg verläuft zwar auf der Teerstraße, endet aber an einem sehr idyllischen Plätzchen am Meer. Zurück geht es über „Englands greenest hills“ durch Schafweiden und mit meterhohen Hecken gesäumte Sträßchen nach Llangoed. Die schöne Runde ist ca. 9 km lang und dauert ca. 2 Stunden plus Fotostopps und Verlaufen.
27.04.2023 Pontcysyllte Aquädukt
Will man Nordwales‘ Landschaft authentisch erleben, empfiehlt es sich, das Land auf kleinen Nebenstraßen zu durchqueren. Meistens hat man ohnehin keine andere Wahl. Die schmalen Sträßchen schlängeln sich zwischen Mauern und Hecken entlang kleiner Bäche über grüne Hügel. Manchmal tauchen kleine Dörfer aus Stein mit unaussprechlichen Namen auf.
Auf dem Weg zum Pontcysyllte Aquädukt wird der Horseshoe-Pass auf einer Höhe von 417 Metern überquert. Hier gibt es keine Bäume mehr, der Blick reicht weit ins Land und auf den benachbarten Moel y Faen Quarries, einem Schieferbruch, was man unschwer an den alten Abraumhalden erkennen kann.
Kurz darauf ist Llangollen in Sicht, wo sich nicht nur der Besuch der Wasserfahrstraße über das Aquädukt lohnt, sondern auch der Besuch des außergewöhnlichen Hauses Plas Newydd mit seinen kunstvollen Schnitzereien und einem winzigen Garten.
Das Tal des Dyfrdwy Dee erfüllt alle Klischees. Grüne Hügel, eingefasst von Steinmauern und dichte Hecken, Schafe, hin und wieder ein paar Häuschen aus grauem Stein. Am Fluss Afon Alwen ändert sich das Landschaftsbild schlagartig. Ein Zaun, ein Weidegitter und schon wird das satte Grün ersetzt durch eine triste Hochlandsteppe. Keine Bäume mehr, nur noch raues Gras, ein paar Felsen und Berge soweit das Auge reicht. Sogar die Schafe wirken hier rauer. Eine neue schmale Teerstraße führt durch diese spannende Landschaft, bis die ersten Häuser am Rand der Zivilisation auftauchen.
28.04.2023 Blaenau Ffestiniog
Ein wichtiger Teil der Walisischen Kultur und Geschichte ist der Kohle- und Schieferbergbau. Nirgendwo sonst bekommt man die Arbeitsbedingungen des Schieferabbaus deutlicher präsentiert als in den Llechwedd Slate Mines bei Blaenau Ffestiniog. Eine Führung durch den Stollen in 500 Fuß Tiefe gibt einen interessanten Einblick in den harten Alltag des Untertagebaus. Sehr bewegend ist die kleine Filmeinblendung an einem glasklaren See tief im Inneren des Bergwerks.
Das Snowdonia Nationalpark Study Centre Plas Tan y Bwlch wird momentan nicht bewirtschaftet. In dem völlig verwilderten Garten blühen jedoch riesige Rhododendren. Das Café hat geschlossen.
29.04.2023 Caernarfon
Noch eine Burg steht auf dem Programm. Caernarfon ist die größte und schönste Burganlage von Edward I. Der neueste Umbau für die Besucher ist sehr gelungen. Die alten Gemäuer können durch die düsteren, engen Gänge erkundet werden. Früher oder später endet jeder Gang auf einem der Türme die immer eine prächtige Aussicht und jedes Mal einen anderen Blickwinkel bereit halten. Im Inneren des Haupthauses befindet sich ein Café, das so clever in das Gebäude integriert wurde, dass man es beinahe nicht findet.
Auf der Llyn Halbinsel wird man von Nordwales direkt in die Landschaft Cornwalls versetzt. Nur die Steilküsten fehlen, aber wer braucht die schon beim Anblick der leuchtend grünen Weiden und dem tiefblauen Meer rundherum? Kilometerlange Steinmauern überziehen die Landschaft wie ein Gitter und buckelige Straßen verschwinden zwischen meterhohen Hecken. An der Nordküste der schönen Halbinsel ragen ein paar kegelförmige Berge in den Himmel die man besteigen kann, wenn man möchte. Oder man unternimmt einen Spaziergang am herrlichen Sandstrand bei Porthdinllaen.
30.04.2023 Der Hund von Beddgelert
Das Wetter in Nordwales soll heute seinem Ruf gerecht werden, wir legen den ersten Regentag ein.
Zum Pflichtprogramm einer Walesreise gehört die Fahrt mit einer der historischen Schmalspurbahnen. Von Porthmadog gibt es die Strecken nach Blaenau Ffestiniog oder nach Caernarfon. In beiden Orten ist ein Aufenthalt von 1,5 Stunden geplant. Wir entscheiden uns für den halben Weg nach Beddgelert, dessen einzige Sehenswürdigkeit aus dem Grab eines berühmten Hundes besteht, der vermutlich nie gelebt hat. Die Dampflock schnauft durch mystische Hochmoore, bemooste Wälder, malerische Berge und – das Klischee muss erfüllt werden – Tunnel. Der hübsche Ort Beddgelert liegt mitten in den Bergen, ein Flüsschen plätschert unter den malerischen Steinbrücken durch, gesäumt von alten Bäumen. In diesem idyllische Örtchen ist wortwörtlich der Hund begraben. Die Stunde Aufenthalt reicht, um zwischen den Steinhäuschen herumzuwandern und die kleine Kirche zu besuchen. Dann tuckelt die Dampfbahn zurück nach Porthmadog.
01.05.2023 Portmeirion
Eine der bekanntesten Touristenattraktionen von Nordwales steht noch aus: Portmeirion. Das künstlich geschaffene Stück Italien passt an die raue Küste von Wales wie die Faust aufs Auge. Dennoch üben die bunten Villen, die nachgebildete Campanile und der Dom einen gewissen Fotografierreflex aus. Es lohnt sich auch ein Spaziergang durch den großzügig angelegten, leicht verwilderten Garten.
Wer die dominante Hauptstraße von Porthmadog weniger attraktiv findet, kann die hübsche Seite des Städtchens bei einem abendlichen Spaziergang vom Railway Harbour in Richtung Cricieth kennenlernen. Der Pfad führt durch dichte Hecken von Bucht zu Bucht und legt den Blick auf so manch schönes Häuschen frei. Auf der anderen Seite der Bucht kann man die Burg Harlech und die dahinter liegenden Berge sehen.
Fazit nach 10 Tagen
Wenn man sich auf Nordwales einlässt, erlebt man eine vielfältige Landschaft und liebenswerte Menschen. Immer wieder überraschen kleine Höhepunkte wie ein schöner Strandabschnitt oder ein netter Ort mit einem kleinen Café. Insgesamt ist Wales sehr hübsch, abwechslungsreich, gar nicht überlaufen und auf jeden Fall Wert, entdeckt zu werden.
Für Wanderungen ist es empfehlenswert, ein GPS-Gerät dabei zu haben, sonst endet man mitten auf einer Schafweide, vor einer unüberwindbaren Steinmauer oder findet sich in einem Hochmoor wieder.