Ein Hochdruckgebiet herrscht über Europa, der Wetterbericht sagt für die nächsten Tage gutes Wetter voraus, die Sonne strahlt vom dunkelblauen Herbsthimmel. Ideale Voraussetzungen für unser Vorhaben, das uns diesmal in das ewige Eis führen soll: Die Besteigung des Großvenedigers.
Tag 1: Krimml 1067 – Gasthof Schönangerl 1300 – Materialseilbahn Warnsdorfer Hütte 1860 – Warnsdorfer Hütte 2336
Der Treffpunkt ist in Krimml. Wir sind zu früh und versuchen, den Ort bei einem Spaziergang ausgiebig zu besichtigen. Mangels Ort bleibt es beim Versuch. Kurze Zeit später sind wir schon wieder beim Treffpunkt. Langsam trudelt einer nach dem anderen ein. Karl, der Bergführer, taucht auf und verteilt Steigeisen und Klettergurte. Außerdem macht er schon mal eine Schätzung vom Gewicht des Gepäcks, doch noch will sich niemand vom Übergewicht trennen. Endlich kann es losgehen. Ein 4000 Jahre alter Römerweg führt uns durch einen märchenhaften, moosbewachsenen Herbstwald. Leider bleibt kaum Zeit zum Genießen, denn die ersten machen ein Affentempo. Es scheint, sie hätten heute noch einen Termin. Die ersten 100 Höhenmeter sind daher so schnell bewältigt, dass wir auf das Taxi glatt 1 ½ Stunden warten müssten. Also legen wir kurzerhand den 2. Teil der Strecke bis oberhalb der Wasserfälle auch zu Fuß und in Rekordzeit zurück. Von hier geht es dann weiter mit einem Transferbus bis an das Ende des schönen Tals. Die schneebedeckten Simonispitzen und die Dreiherrenspitze winken uns schon fröhlich zu. Von hier geht es mit Gepäck weiter, die letzten knapp 500 Höhenmeter hinauf zur Warnsdorfer Hütte. Am Anfang läuft es noch ganz gut. Doch dann fordert die Höhe ihren Tribut. Das Gepäck wird immer schwerer. Jedes Gramm wird zum Kilo und im Geiste sortiere ich unbarmherzig meinen Rucksack aus. Dinge, von denen ich einst glaubte, mich nie von ihnen trennen zu können, werden plötzlich entbehrlich. Endlich ist es geschafft. Bohw das war ein Kampf! Die Hütte ist sehr gemütlich und bald gibt es leckeres Abendessen. Der Aufstieg hat fast alle davon überzeugt, dass das Gewicht des Rucksacks reduziert werden muss und so sortieren wir als Abendprogramm noch einige Kilo aus, die wir mit der Materialseilbahn zurück ins Tal schicken.
Tag 2: Gamsspitzl 2888 – Maurer Törl 3108 – Großer Geiger 3360 – Essener-Rostocker-Hütte 2208
Die neuen Ohrenstöpsel sind super. Jemand soll geschnarcht haben? Kann schon sein, ich habe nichts gehört. Während Karl meint, wir würden heute spät aufbrechen finde ich 07:30 früh. Da haben wir es wieder, alles ist relativ. Zum Aufwärmen steigen wir gute 550 m zum Gamsspitzl auf. Der erste Gipfel des Tages. Gleich hinter der Scharte beginnt der Gletscher. Die Sicht ist brillant. Der Schnee glitzert frech in der Sonne. Zum ersten Mal müssen wir Steigeisen und Klettergurte anlegen. Es dauert eine Weile, bis wir uns durch Riemen und Ösen schlängeln und alles fest verzurrt ist. Jeder kriegt einen Knoten am Seil zugewiesen, schnell noch mal Lichtschutzfaktor nachcremen, Ohren nicht vergessen, Gletscherbrille aufsetzen, und los kann es gehen. Klirrend setzt sich die Seilschaft in Bewegung, der Schnee knirscht unter den Eisen. Schritt für Schritt überqueren wir im Gänsemarsch das Schneefeld und steigen langsam auf zum Maurer Törl. Wer nicht aufpasst, tritt aufs Seil. Und wer sich im Seil verheddert sollte das möglichst so machen, dass kein anderer währenddessen in eine Gletscherspalte rutscht. Na das kann ja heiter werden. Endlich sind wir oben und können hinunter schauen auf das Maurer Kees und hinüber auf den 2. Gipfel des Tages, den Großen Geiger. Während das Tal gefüllt ist mit dicken Wolken, fordert uns der Große Geiger großzügig auf, ihn zu besteigen. Es sind eigentlich nur 250 Höhenmeter, der Haken ist, dass wir vorher 150 Meter absteigen müssen. Ich verzichte, wohlwissend, dass ich meine Kräfte für die nächsten Tage einteilen muss, und steige mit einem Teil der Gruppe ab Richtung Essener-Rostocker-Hütte. Wir lassen das steile Schneefeld hinter uns und gelangen auf eine Moräne. Rutschiger Kies, unter dem das blanke Eis zum Vorschein kommt, wechselt sich mit großen Felsbrocken ab, und gestaltet den Abstieg äußerst mühsam. Zumal wir anfangs noch mit den Steigeisen versuchen, über das Gelände zu stolpern. Aus dem Schneefeld entspringt ein reißender Gletscherbach, den wir unterhalb des steilen Geländes überqueren müssen. Hier beginnt nun ein gemütlicher Wanderweg, der uns durch ein hübsches Tal, umgeben von beeindruckenden Gipfeln und Gletschern, zur Hütte führt. 2 ½ Stunden später treffen die Gipfelstürmer ein. Erschöpft und durstig, aber stolz auf die vollbrachte Leistung. Doch die Stunden auf der Sonnenterrasse bei Kaffee und Topfenstrudel lasse ich mir nicht nehmen.
Tag 3: Östliche Simonispitze 3448 – Essener-Rostocker-Hütte 2208
Die Sonne scheint, der Gipfel lacht! Doch zuerst müssen gut 1200 Höhenmeter überwunden werden. In den ersten 2 Stunden machen wir schnell Höhe. Ein bequemer Wanderweg führt hinauf zur Schneegrenze. Arnika, Enzian und ein wahrer Krautweiden-Wald, begleiten uns hinauf. Ein paar Murmeltiere räkeln sich in der Sonne und pfeifen uns munter zu. Nach 800 Höhenmetern beginnt das erste Schneefeld. Nun können wir unseren ohnehin schon leichten Rucksack noch um Steigeisen, Pickel und Klettergurte erleichtern. Eine willkommene Pause bis wir wieder alle verpackt und verschnürt sind. Die Schneeverhältnisse sind optimal doch es ist sehr steil. Im Zickzackkurs steigen wir langsam auf. Technisch ist es kein Problem und bei diesem Tempo habe sogar ich eine reelle Chance, den Gipfel zu erreichen. Wir gehen so nachhaltig, dass ich noch nicht mal richtig außer Atem gerate. Ein- oder zweimal kommen Felsen über die wir samt Steigeisen klettern müssen. Karl hilft nach, indem er uns am Seil auf dem Bauch über die Felsen schleift. „Da hilft kein Schimpfen“, meint er – und er hat recht: schimpfen hilft nicht! Unbeeindruckt zerrt er weiter am Seil bis wir alle die Stelle überwunden haben und wieder auf zwei Füßen zu stehen kommen. Der Schnee wird weicher und der eine oder andere sinkt bis zum Oberschenkel ein. Die Rechnung für den ungezügelten Kaasnockerlkonsum gestern folgt hier prompt. Schließlich gelangen wir auf ein weiteres Felsplateau von dem aus der Gipfel schon greifbar nahe ist. Nur noch wenige Meter und ein weiteres Eisfeld gilt es zu überwinden und dann ist es geschafft. Der Gipfel besteht eigentlich nur aus einer spitzwinkligen Schneewehe. Wir klettern vorsichtig darüber und quetschen uns wie Hühner auf der Stange entlang des Grats. Beide Richtungen fallen so steil ab, dass wir es nicht einmal wagen, unsere Rucksäcke abzunehmen. Jedoch die Aussicht ist grandios. Die Frage, wie wir wieder hinunter kommen löst sich recht einfach. Nach dem schwierigsten Stück lässt uns Karl von der Leine und wir rutschen auf den Schuhen einfach geradeaus hinunter. Eine richtige Gaudi ist das.