Sissinghurst Castle and Garden

Sissinghurst Garden
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Inmitten der sanften Hügellandschaft von Kent liegt ein Ort, der heute wie ein verwunschener Garten aus einem Roman wirkt – Sissinghurst Castle. Was Besucher heute als harmonisches Gartenparadies erleben, war nicht immer eine blühende Idylle. Der Landsitz blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück, die bis ins Mittelalter reicht, als auf dem Gelände eine von Wassergräben geschützte Hofanlage stand. Im 15. Jahrhundert übernahm die Familie Baker das Anwesen und ließ eines der ersten großen Ziegelhäuser der Region errichten. Später diente das einst stattliche Haus als Gefängnis für Tausende französische Kriegsgefangene im Siebenjährigen Krieg – ein dunkles Kapitel, das dem Ort den Beinahmen „Castle“ einbrachte. Nach dem Krieg zerfiel die Anlage weitgehend, ein Teil wurde als Armenhaus genutzt, der Rest verfiel. Erst im 20. Jahrhundert begann eine neue, beinahe märchenhafte Ära für Sissinghurst.

Im Jahr 1930 entdeckten Vita Sackville-West, eine exzentrische Dichterin und Gärtnerin mit aristokratischem Hintergrund, und ihr Mann Harold Nicolson das verwilderte Gelände. Sie verliebten sich nicht nur in das romantische Potenzial der Ruinen, sondern sahen in ihnen auch eine Möglichkeit, ihre eigene Vision eines poetischen Gartens zu verwirklichen. Für Vita, die als Frau den Familiensitz Knole nicht erben durfte, war Sissinghurst ein emotionales Ersatz-Zuhause – eine Chance, ihre Wurzeln in neuer Form neu zu pflanzen. Die Arbeit an dem Garten wurde ihr Lebensprojekt, das sie mit Leidenschaft, Intuition und einer gehörigen Portion Eigensinn gestaltete.

Harold Nicolson, der strukturierte Diplomat, kümmerte sich um die architektonische Anlage der Gartenräume. Vita hingegen tobte sich bei der Bepflanzung aus. Gemeinsam schufen sie auf rund fünf Hektar Fläche ein Wunderwerk aus zehn abgeschlossenen Gartenräumen – abgeschirmt durch hohe Eibenhecken und alte Mauern. Jeder dieser Gärten hat seinen eigenen Charakter: der berühmte Weiße Garten mit seiner leuchtend-silbrigen Pracht, der opulent duftende Rosengarten, in dem Vitas Lieblingsrosen in voller Blüte stehen, oder der formale Lindengang, der von Harold entworfen wurde und mit seinen Terrakottatöpfen und kleinen Statuen mediterranes Flair versprüht.

Die Gestaltung folgt einem reizvollen Gegensatz: Auf der einen Seite eine klare geometrische Struktur, auf der anderen eine verschwenderische, wilde Bepflanzung. Vita liebte es, Farbenräume zu schaffen, in denen eine Farbe dominiert – in purer Opulenz, aber stets mit Bedacht. Der Bauerngarten, gleich neben dem liebevoll restaurierten South Cottage, in dem sie mit Harold lebte, zeigt diesen Stil in Reinform. Hier treffen wild wuchernde Stauden auf akkurat geschnittene Wege, zwischen denen sich überraschende Blickachsen eröffnen.

Inmitten der Gärten erhebt sich der alte Turm, Vitas Rückzugsort. Hier schrieb sie ihre Gedichte und betrachtete von oben das Werk ihrer Hände. Der Blick reicht bei gutem Wetter bis nach Canterbury. Und überall blüht und duftet es – ob im Kräutergarten mit seinen über hundert Arten, im Obstgarten, wo im Frühling Narzissen blühen, oder entlang des Wassergrabens, der einst das ganze Anwesen umgab und heute noch ein verwunschener Ort am Rande des Gartens ist.

Schon 1938 öffnete das Paar seinen Garten für Besucher. Nach Vitas Tod übernahm der National Trust das Anwesen, doch die Familie behielt ihr Wohnrecht. Heute sorgt ein erfahrenes Team von Gärtnern dafür, dass der Geist von Vita Sackville-West lebendig bleibt – darunter auch Troy Scott Smith, der als Obergärtner ab 2013 dem Garten seine eigene Handschrift verlieh. Er wollte nicht einfach nur bewahren, sondern Vitas poetischen Geist wieder stärker spürbar machen – mit einem sanften, lockeren Stil, der Raum für Natur lässt.

Neben den Gärten gehörte auch ein Bauernhof zum Anwesen, der lange verpachtet war und heute teils intensiv bewirtschaftet wird. Doch trotz aller Veränderungen bleibt Sissinghurst ein Ort, an dem Geschichte, Natur und Kunst zu einem außergewöhnlichen Gesamterlebnis verschmelzen. Ein Garten wie aus einem Traum – gewachsen aus Ruinen, gehegt mit Leidenschaft, und noch immer lebendig durch die Visionen derer, die ihn einst zum Blühen brachten.

Die Gärten Englands selbst erleben…