
Hoch über dem Hafen von Palma de Mallorca erhebt sich ein gewaltiger Bau, der seit Jahrhunderten die Silhouette der Stadt prägt – die Kathedrale der Heiligen Maria, von Einheimischen liebevoll La Seu genannt. Schon von Weitem wirkt sie wie ein steingewordener Traum, der den Atem anhält. Doch wer durch ihre gewaltigen Tore tritt, begibt sich auf eine Reise durch Zeit, Glaube und Kunst.
Der Ursprung: Ein Versprechen an den Himmel
Die Geschichte der Kathedrale beginnt dramatisch. Im Jahr 1230, kurz nach der Rückeroberung Mallorcas von den Mauren, ließ König Jakob I. von Aragón auf dem Fundament einer ehemaligen Moschee den Grundstein für dieses neue christliche Symbol legen – als Dank an Gott für den Sieg. Doch gebaut wurde hier nicht nur für das Diesseits: Die Kathedrale sollte auch zur letzten Ruhestätte für das Königshaus von Mallorca werden. Jakob II. und Jakob III. fanden hier ihre Gräber.
Baustelle der Jahrhunderte
Es sollte ein Bauwerk für die Ewigkeit werden – und entsprechend dauerte der Bau selbst fast eine Ewigkeit. Erst 1601, über 370 Jahre nach der Grundsteinlegung, wurde das Hauptportal geweiht. Und selbst dann war das Bauwerk noch nicht vollständig vollendet. Die imposante Hauptfassade wurde erst im frühen 20. Jahrhundert fertiggestellt. Doch das Warten hat sich gelohnt: Die Kathedrale misst über 100 Meter in der Länge und beeindruckt mit einem der höchsten gotischen Kirchenschiffe Europas. Ihr Inneres wird von 14 schlanken Pfeilern getragen, die das Gewölbe in eine lichte Höhe von 44 Metern heben.
Lichtmagie: Die große Rosette
Ein besonderes Schauspiel bietet sich Besuchern im Morgengrauen eines jeden 2. Februar und 11. November. Dann zaubert die große Rosette – eine gotische Glaskunst von fast 13 Metern Durchmesser – ein leuchtendes Kaleidoskop aus Farben an die Wand gegenüber. Man nennt sie die „größte gotische Rosette der Welt“ – auch wenn sich darüber Kunsthistoriker streiten. Unbestritten ist: Der Anblick ist magisch.
Stilmix mit Geschichte
Die Kathedrale ist kein starrer Bau, sondern ein atmendes Kunstwerk. Verschiedene Epochen haben ihre Spuren hinterlassen. Die gotische Strenge des Hauptbaus wird durch barocke Altäre, platereske Schnitzereien aus der Renaissance und klassische Kapellen ergänzt. Besonders eindrucksvoll ist das riesige Altarretabel des Corpus-Christi-Kapelle, das bis unter die Decke reicht und das Letzte Abendmahl zeigt.
Gaudí und der Geist der Moderne
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wagte sich kein Geringerer als Antoni Gaudí an die Umgestaltung des Innenraums. Er versetzte den Chorraum, schuf neue Lichtachsen und entwarf sogar einen hohlen Resonanzraum unter dem Chorgestühl, der erst 100 Jahre später zufällig wiederentdeckt wurde. Sein Werk krönt der filigrane Baldachin über dem Altar – ein leuchtendes Zeugnis des katalanischen Modernisme.
Moderne trifft Tradition
Doch auch die Gegenwart hat ihren Platz gefunden. Der mallorquinische Künstler Miquel Barceló gestaltete eine Seitenkapelle neu – mit einem dramatischen Tonrelief über die wundersame Brotvermehrung, das antike Geschichten mit zeitgenössischer Ästhetik verwebt.
Glocken, Orgelklang und stille Reliquien
La Seu ist nicht nur visuell ein Erlebnis. Ihr Geläut ist eines der beeindruckendsten Spaniens: Die große Glocke „N’Aloi“ wiegt fast viereinhalb Tonnen und wird nur zu den höchsten Festtagen geschlagen. Die Orgel, mit 31 Registern, bringt seit dem 18. Jahrhundert das Gotteshaus zum Beben. Im Museum der Kathedrale begegnet man historischen Figuren wie Clemens VIII., einem Gegenpapst, der nach seinem Rücktritt friedlich als Bischof von Palma lebte.
Die Kathedrale von Palma ist kein bloßes Bauwerk – sie ist eine Reise durch Zeit, ein steinerner Zeuge des Glaubens, ein Ort der Kunst, der Akustik und der Stille. Wer sie betritt, steht nicht einfach in einer Kirche – sondern mitten in einer lebendigen Geschichte, die bis heute weitergeschrieben wird.