
Tief im Herzen Anatoliens, dort wo sich weite Hochebenen mit kargen Bergen und endlosen Horizonten abwechseln, erhebt sich eine Landschaft, wie sie unwirklicher kaum sein könnte. In der Region Kappadokien, genauer in der Provinz Nevşehir, scheint die Erde selbst in eine Traumwelt verwandelt worden zu sein. Zwischen den kleinen Ortschaften Göreme, Ürgüp, Uçhisar und Zelve ragen sie empor – bizarre, turmähnliche Felsformationen, die in ihrer Form an gigantische Pilze, schmale Spargelstangen oder auch schelmisch an Phallussymbole erinnern. Die Menschen nennen sie liebevoll „Feenkamine“ – peri bacaları auf Türkisch – als hätten hier übernatürliche Wesen ihre Schlote in die Luft gestreckt.
Doch die Entstehung dieser einzigartigen Landschaft hat nichts mit Magie zu tun, sondern mit Feuer und Asche, mit Vulkanausbrüchen und Jahrmillionen währender Geduld. Vor rund 20 Millionen Jahren spien die Vulkane Erciyes Dağı und Hasan Dağı Unmengen an glühendem Staub, Asche und Gestein in die Atmosphäre. Diese gewaltigen Eruptionen legten die Landschaft unter eine mächtige Decke aus vulkanischem Material. Aus dieser Schicht entstand über die Zeit der weiche Tuffstein, der heute das Grundmaterial für die Feenkamine bildet. Wind und Wasser formten im Laufe der Jahrtausende fantasievolle Gebilde aus diesem Stein – doch nur dort, wo eine härtere Gesteinsdecke die Tuffschicht schützte, blieben die bizarren Säulen stehen. Wie Wächter aus Stein ragen sie heute in den Himmel und machen Kappadokien zu einem Naturwunder von globalem Rang.
Manche dieser Steingebilde erreichen Höhen von über 30 Metern. Sie sehen aus wie von Riesenhand modelliert – doch was sie noch faszinierender macht, ist das Leben, das sie über Jahrhunderte in sich trugen. Schon vor Tausenden von Jahren begannen Menschen damit, die weichen Tuffkegel von innen auszuhöhlen. So entstanden Höhlenwohnungen, Kirchen und sogar ganze Klosteranlagen im Inneren der Feenkamine. Vor allem Christen der frühen Jahrhunderte fanden hier Schutz vor Verfolgung – verborgen vor Blicken, doch durchzogen von erstaunlicher Architektur. Die Höhlen boten dabei mehr als nur Verstecke: Sie waren ideale Wohnräume in einer rauen Umgebung. Im heißen Sommer blieb es im Inneren angenehm kühl, im kalten Winter schützte der Stein vor Frost. Fensteröffnungen, die oft mit Teppichen abgedeckt wurden, ließen Licht hinein, während Feuerstellen die Räume beheizten. Manche dieser Wohnhöhlen erstreckten sich über mehrere Etagen, verbunden durch schmale, in den Stein gehauene Schächte oder hölzerne Leitern.
Heute stehen viele dieser historischen Wohnkammern Besuchern offen. Wer durch ihre engen Gänge wandert, kann noch immer die Geschichten spüren, die sich in diesen Felsen abgespielt haben – Geschichten von Flucht, Glauben, Alltag und Überleben. In Kombination mit der surrealen Landschaft wirkt alles wie aus einer anderen Welt, und es ist kein Wunder, dass der Nationalpark Göreme samt seiner Feenkamine zum UNESCO-Welterbe gehört.
Kappadokien ist jedoch nicht der einzige Ort mit solchen Felswundern. Auch in anderen Teilen der Erde, wie im Bryce-Canyon in den USA, gibt es ähnliche Nadelformationen – die sogenannten Hoodoos. Doch was sie in Utah aus Sandstein, Wind und Regen geformt hat, war in der Türkei das Werk von Feuer und Asche. Und während die Hoodoos majestätisch aber unbewohnt in der Landschaft stehen, atmen die Feenkamine Kappadokiens Geschichte – und vielleicht, so sagen manche, auch ein wenig Zauber.