
Hoch oben auf dem Sabikah-Hügel, über den Dächern von Granada, thront ein Ort wie aus Tausendundeiner Nacht: die Alhambra. Diese märchenhafte Stadtburg mit ihren zart verzierten Palästen, duftenden Gärten und mächtigen Mauern erzählt von einer glanzvollen Epoche, als das maurische Erbe Andalusiens in voller Blüte stand. Heute zählt sie zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Europas – und das aus gutem Grund. Die Alhambra ist kein bloßes Bauwerk, sie ist eine lebendige Legende, in Stein gemeißelte Geschichte, ein Ort der Poesie und der Macht.
Schon ihr Name birgt ein Geheimnis. Ob „die Rote Festung“, wie viele meinen – wegen der rötlichen Mauern, die im Abendlicht wie glühende Kohlen leuchten – oder als Anspielung auf die Dynastie der Banū al-Aḥmar, deren Gründer den Beinamen „der Rote“ trug: Die Alhambra ist von Geschichten durchdrungen. Der Klang des Namens weckt Assoziationen an orientalische Märchen, an Paläste aus Licht und Schatten, an das Wispern des Wassers in stillen Höfen.
Die Geschichte der Alhambra reicht weit zurück. Schon in vorrömischer Zeit war der Hügel bewohnt, doch es waren die Mauren, die hier eine Burg errichteten, deren Ruhm bis heute nachhallt. Besonders unter der Herrschaft der Nasriden, ab dem 13. Jahrhundert, blühte die Anlage zu einem Juwel maurischer Baukunst auf. Der erste Nasridenherrscher, Muhammad I., verlegte seine Residenz nach Granada und ließ die heute berühmte Zitadelle erbauen. Von der imposanten Alcazaba aus, der wehrhaften Oberstadt, blickten die Herrscher über ihr Reich – wachsam, stolz, vielleicht auch melancholisch.
Doch nicht nur militärische Stärke spiegelt sich in den Mauern der Alhambra wider. Es sind vor allem die Paläste, die das Herz berühren. Die Naṣridenpaläste mit dem mythischen Löwenhof oder dem spiegelglatten Wasserbecken des Myrtenhofes wirken wie Szenen aus einem Traum. Fein ziselierte Arabesken, kunstvolle Stuckarbeiten und kalligrafische Inschriften erzählen von einer Welt, in der Kunst und Glaube untrennbar miteinander verwoben waren. Der berühmte Löwenbrunnen – getragen von zwölf steinernen Löwen – gilt als Meisterwerk islamischer Brunnenarchitektur.
Nicht weniger zauberhaft ist der Generalife, der Sommerpalast mit seinen verträumten Wasserspielen und schattigen Gärten. Wer heute durch die Zypressenalleen wandelt, spürt noch immer die Ruhe, die einst die Herrscher hier suchten – fern vom Trubel des Hofes, eingehüllt in das Plätschern der Wasserläufe.
Doch die Geschichte der Alhambra ist nicht nur eine von Schönheit. 1492 ging ein Kapitel zu Ende: Der letzte maurische Emir, Boabdil, übergab die Festung an die Katholischen Könige – ein symbolträchtiger Moment, der das Ende der islamischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel markierte. Ausgerechnet in der Alhambra erließen Ferdinand und Isabella das berüchtigte Edikt zur Vertreibung der Juden aus Spanien.
Nach dem Fall der Nasriden verfiel die Anlage langsam. Napoleonische Truppen sprengten Teile der Festung, Regen und Zeit nagten an den Mauern. Doch dann kam ein neuer Hauch von Leben: Im 19. Jahrhundert entdeckten Romantiker wie Washington Irving die Magie der Alhambra neu. In seinen „Tales of the Alhambra“ verlieh er dem Ort seine Stimme zurück – verträumt, geheimnisvoll, berührend.
Heute ist die Alhambra ein UNESCO-Weltkulturerbe, bewundert von Millionen. Sie inspiriert Künstler, Musiker, Dichter. Ihre filigranen Muster finden sich in den Werken von M.C. Escher, ihre Melancholie klingt in Tárregas „Recuerdos de la Alhambra“, ihre Geschichten leben in der Literatur weiter.
Die Alhambra ist weit mehr als nur ein Bauwerk. Sie ist ein Symbol für das reiche kulturelle Erbe Andalusiens, für den Zauber vergangener Welten – und für die Hoffnung, dass Schönheit, selbst wenn sie über Jahrhunderte hinweg beinahe verloren geht, immer wieder neu entdeckt werden kann. Wer einmal durch ihre Höfe geschritten ist, vergisst sie nie.